C. P. Sidorko: Basel und der jiddische Buchdruck (1557–1612)

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Titel
Basel und der jiddische Buchdruck (1557–1612). Kulturexportin der Frühen Neuzeit


Autor(en)
Sidorko, Clemens P.
Reihe
Schriften der Universitätsbibliothek Basel 8
Erschienen
Basel 2014: Schwabe Verlag
Anzahl Seiten
488 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Peter Stein

Basel war in der Frühen Neuzeit wohl der bedeutendste Ort nördlich der Alpen, der über zahlreiche namhafte Druckereien verfügte, die in der Lage waren, Texte mit hebräischen Lettern in vorzüglicher Darstellung zu veröffentlichen. Unter diesen Büchern befindet sich eine beachtliche Anzahl zwar mit hebräischen Buchstaben gedruckter Exemplare, die jedoch nicht in hebräischer Sprache sondern auf Jiddisch (Jüdisch-Deutsch) verfasst sind.1 Diese Literatur ist Gegenstand der flüssig geschriebenen und auch für den Laien gut verständlichen Schrift Sidorkos.

Die Basler hebräischen Drucke erfuhren bereits 1964 durch Joseph und Bernhard Prijs auf 584 grossformatigen Seiten eine umfassende Bearbeitung.2 Doch die 322 bearbeiteten Titel erlaubten keine ins Detail gehende Darstellung dieser zahlreichen Schriften. Sidorko hat die nicht hebräisch verfassten sondern jüdischdeutschen (jiddischen) Drucke analysiert. Er nennt alle in hebräischer Schrift von Jüdinnen und Juden für Jüdinnen und Juden überlieferten Texte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit mit einem sprachlichen Bezug zum Deutschen «jiddisch». Es sind dies in einer hebräischen Schriftart gesetzte Publikationen, die sprechsprachlich gesehen deutschen Texten nahe stehen (S. 48–50). Verwendet wurde mit Vorliebe die Schrift «Waibertaitsch» (S. 86). Schon Prijs befasste sich mit den jüdisch-deutschen Drucktypen, die in Basel im Jahre 1557 auftauchten und sich hier bis zum Jahre 1663 hielten, und nannte sie Weiberdeutsch (alt-jüdisch-deutsche Typen).

So wie auch die lateinische Schrift diverse Drucktypen (z.B. Arial, Times, Helvetica) kennt, kann auch Hebräisch in mehrfacher Ausprägung geschrieben werden. Die Schriftausrichtung ist immer von rechts nach links. Bei den jiddischen (jüdisch-deutschen) Texten werden gewöhnlich nur die Titel in der fürs Hebräische üblichen Quadrat- oder Raschi-Schrift gesetzt, andere Textpassagen hingegen eben mit Schrift-Typen, die Sidorko als Waibertaitsch, Prjis als Weiberdeutsch bezeichnet. Wie sich deutsch mit hebräischen Buchstaben schreiben lässt, welcher Laut der deutschen Sprache mit welchem Buchstaben der hebräischen Schrift wiederzugeben sei, interessierte die christlichen Hebraisten schon früh. Sebastian Münster, bekannt als Verfasser der «Cosmographia»,3 lehrte seinerzeit als Theologieprofessor an der Basler Universität Judaistik und befasste sich schon 1516/1524 mit den jüdisch-deutschen in hebräischen Lettern geschriebenen Texten. 4 Er ermittelte, mit welchen hebräischen Buchstaben ein deutscher Text zu verfassen sei. Geklärt wurde auch, welche Type des Waibertaitsch der hebräischen Quadratschrift entspricht.5 Ein Glücksfall war, dass Sebastian Münsters Nachfolger im Amt des Judaistikdozenten, Johann Buxtorff der Ältere (1564–1629), auch als Zensor amtete und dieses Amt mit Milde versah. Er erhielt von jedem Druck mit hebräischen Buchstaben ein Belegexemplar, sammelte diese Schriften, so dass sie schliesslich in die Bestände der Basler Universitätsbibliothek gelangten.

Die Auftraggeber für die Drucke kamen von weit her. Auf der Rückseite des vorderen Bucheinbandes zeigt eine Karte die Orte. Wichtig waren namentlich die Druckaufträge aus Frankfurt am Main, der Stadt, die schon vom Talmuddruck her mit den Basler Druckern Beziehungen unterhielt.

Sidorko untersucht auch die für den Absatz der Druckwerke in Frage kommenden Destinationen. Osteuropa war besonders bedeutsam. Bezeichnend sind mehrere Beschlüsse von Rabbinerkonferenzen, die besagen, dass die Druckvorlagen vor der Veröffentlichung von drei Rabbinern zu genehmigen seien, wobei Basel als wichtigster Orte besonders genannt ist. An wen richteten sich diese Schriften? Gedacht wurde an eine Kundschaft, die zwar die hebräischen Buchstaben kannte, aber der hebräischen Sprache kaum mächtig war: Frauen und wenig gebildete Männer.

Bei Konrad Waldkirch wurden insgesamt 69 Hebraica gedruckt, davon 20 der christlichen Theologen sowie 14 jiddische Bücher, gleichviele wie beim italienischen Konkurrenten Giovanni di Gara in Venedig. Prostitz in Krakau produzierte 73 jiddische Drucke. Bei Waldkirch erschienen acht Neuerscheinungen. Die andern Publikationen sind Nachdrucke, Übersetzungen (S. 301–306).

Gegenstand der so gedruckten Texte sind Gebete (20 Gebetbücher) und Lieder, religiöse Vorschriften und Bräuche, Sittenspiegel, Epik, erzählende Prosa, historiographische und mystische Literatur. Einige gedruckte Werke sind recht umfangreich, so das «Maisebuch»,6 das von Astrid Starck ins Französische übersetzt wurde. Sidorko gibt den in Waibertaitsch geschriebenen Buchtitel in modernen Druckbuchstaben wieder und fügt eine Übersetzung ins moderne Deutsch an (S. 280). Dieses sehr verdienstvolle Verfahren ist im ganzen Buch Sidorkos immer wieder anzutreffen und erschliesst recht eigentlich die in Waibertaitsch-Typen gesetzten Originalschriften. Allein dem «Maisebuch» widmet er ein neun Seiten umfassendes Kapitel. Ausführlich wird auch das «Siben weisen meinster-bichel» behandelt, herausgegeben von Jakob Ben David Weil aus Brest-Litowsk und Jakob Buchhändler aus Meserits in Litauen (Kapitel 8.2.5.1).

Das Buch Sidorkos ist hervorragend ausgestattet. Karten und Porträts fehlen ebensowenig wie die Faksimiles der Titelseiten der Bücher. Allerdings ist die Qualität der Titelreproduktionen bei Prijs dem Druck bei Sidorko deutlich überlegen. Umschriften der Texte erleichtern die Lektüre des sogfältig erarbeiteten Stoffes.

Sidorko schenkt seine Aufmerksamkeit auch den Druckern und dem für den Druck beigezogenen Personal. Das jüdische Druckereipersonal war nicht einfach zu rekrutieren. Aus Italien sowie im Osten Europas konnten fachkundige Mitarbeiter gewonnen werden. Juden benötigten eine Sondergenehmigung um in Basel verweilen zu dürfen. Grundsätzlich war Juden der Aufenthalt in Basel verboten. Sidorko nennt neun bei Waldkirch als Drucker, Setzer und Korrektoren beschäftigte Juden und beschreibt ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen (S. 319–338).

Jiddisch wurde in Basel zum ersten Mal 1557 bei Jakob Kündig gedruckt. Es war das «Sefer Doniel», ein episches Werk in 496 Strophen zu vier Versen. Später erschienen die jiddischen Drucke fast ausschliesslich bei Konrad Waldkirch (Tabelle S. 207). Ambrosius Froben musste nach Freiburg im Breisgau ausweichen, wo drei jiddische Texte gedruckt wurden, so dass man hier kaum von «Basler» Drucken sprechen kann.7 Am 15. Februar 1612 erschien als letzter jiddischer Druck bei Waldkirch das «Sefer Smuel» und dann aus verschiedenen Gründen, die Sidorko darlegt, kein Druckwerk mehr für Juden.

Die Basler hebräischen Druckereien waren eine namhafte Einnahmequelle für das Basler Gewerbe. Da hierfür auch der Beizug von Juden als Hilfskräfte unabdingbar war, muss das Druckwesen mit hebräischen Lettern auch für die Geschichte der Juden in Basel mit einbezogen werden. Die Sparte der jüdisch-deutschen Texte hat ihren Platz im Kulturleben der Stadt am Rhein. Hervorzuheben ist, dass der Buchschmuck von namhaften Künstlern, zum Beispiel Hans Holbein, geschaffen wurde.

1 Vgl. auch Heiko Haumann (Hg.), Acht Jahrhunderte Juden in Basel. 200 Jahre Israelitische Gemeinde Basel, Basel 2005, S. 56 und Fussnote 146.
2 Die Basler hebräischen Drucke (1492–1866), im Auftrag der öffentlichen Bibliothek der Universität Basel, bearbeitet von Joseph Prijs, ergänzt und herausgegeben von Bernhard Prijs, Olten/Freiburg i. Br. 1964.
3 Sechs Bände, Basel: Adam Petri, 1544.
4 Sebastian Münster, Institutiones grammaticae in hebraeam linguam, Basel: Johann Froben, 1516 (vgl. Sidorko, S. 130–133).
5 Vgl. Die Basler hebräischen Drucke, S. 156. Abb. 73 zeigt das hebräische Alphabeth in Quadratschrift und Waibertaitsch-Typen nebeneinandergestellt aus Wigando Appellio, Linguae Sanctae Canones grammatici, Basel 1561.
6 Die Maise ist eine Art Novelle, ein Exemplum, das am Sabbat im Kreis der Familie gelesen wurde. Sie diente gleichermassen der Erbauung wie der Unterhaltung (vgl. Sidorko, S. 279).
7 Bei Jakob Foillet erschien 1603 noch ein Pentateuch-Nachdruck auf Jiddisch.

Zitierweise:
Peter Stein: Rezension zu: Clemens P. Sidorko, Basel und der jiddische Buchdruck (1557–1612). Kulturexportin der Frühen Neuzeit, Basel: Schwabe Verlag, 2014. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 65 Nr. 3, 2015, S. 475-478.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 65 Nr. 3, 2015, S. 475-478.

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